„Ich bin ein Geschichts-Junkie“

Als Kind hatte ich nicht den Wunsch: „Wenn ich groß bin, werde ich Stadtführerin“.
Eine gerade Linie in meinem Lebenslauf ist bei bestem Willen nicht zu erkennen. Dafür viele Abzweigungen, Sackgassen, Kringel, Sprünge, Vollbremsungen und ebenso der Gebrauch vom Rückwärtsgang.
Was Berlin betrifft, bin ich eine Wiederholungstäterin.

Nach dem Abitur hatte ich für meinen beruflichen Werdegang keinen wirklichen Plan. Aber eins war klar: Ich will nach Berlin! So zog ich kurz nach dem Mauerfall von meiner Heimatstadt Bremen nach Berlin. Schrieb mich für Philosophie und Germanistik an der FU ein. Da war kein Numerus clausus drauf und klang irgendwie nach „Rumlabern-Fächern“. Nach einem Semester des Nichtstudierens, schwenkte ich um auf Kunst und Neue Medien. Nach dem Studium war ich erstmal urlaubsreif und erholte mich auf einer sechsmonatigen Reise durch Südamerika.

Mitte der 1990er Jahre kehrte ich nach Bremen zurück, lebte als Künstlerin und jobbte nebenbei in den verschiedensten Branchen. Eine innere Unruhe trieb mich zu elf Umzügen innerhalb von zehn Jahren.
Ich verspürte eine zunehmende Unzufriedenheit, kündigte einen sicheren Job und verreiste erstmal.
Dort, am Fuße der Rocky Mountains, in atemberaubender Natur, zwischen lächelnden freundlichen Menschen, in der Idylle schlechthin, sah ich plötzlich klar:
Berlin! Ich muss wieder nach Berlin! Sehnsucht nach Großstadt, inklusive Lärm, Dreck und Rumgemotze. Zuviel Harmonie und Beschaulichkeit macht mich nervös.

Diesen zweiten Umzug habe ich keine Sekunde bereut. Allerdings ging es wirtschaftlich erstmal bergab. Ich musste mir etwas Neues überlegen. Anfangs nur als zweites Standbein zur Kunst gedacht, absolvierte ich die Ausbildung zur zertifizierten Gästeführerin für Berlin. Tja, da war es um mich geschehen.

Seit ich als Stadtführerin unterwegs bin, habe ich mich zu einem Geschichts-Junkie entwickelt. Es gibt keine bessere Stadt für diesen Beruf. Nie hätte ich gedacht, dass ich mich jemals für Königshäuser interessieren würde. Hier ist Weltgeschichte geschrieben worden, der Kalte Krieg war nirgendwo so heiß wie in Berlin. Ost und West, Schmelztiegel, Freaks und Spießer, Größenwahn und Kiezgeschichten - mit Berlin ist man einfach nie fertig.
Für neugierige und wissbegierige Menschen wie mich, die auch noch einen großen Bewegungsdrang haben und nicht völlig menschenfeindlich sind, macht es einfach enorm viel Spaß Menschen für Berlin zu begeistern.
Die Schönheit im Unperfekten. So viele verschiedene Facetten - Berlin wird mich nie langweilen und vor zuviel Harmonie bin ich nirgendwo so sicher wie in Berlin!